Vom Underdog zur dynamischen Weinregion: Das Weinviertel hat seit der Einführung der Herkunftsbezeichnung DAC vor knapp 20 Jahren eine beachtliche Entwicklung hingelegt und mit seinem Grünen Veltliner österreichische Weinbaugeschichte geschrieben.
"Poysdorfer Saurüssel": Was für ein Name für einen Wein! Die älteren Semester unter den Weinfreunden werden sich vielleicht noch an diesen leichten, frisch-fruchtigen, "säurebetonten" Grünen Veltliner aus dem niederösterreichischen Weinviertel erinnern. Man mag sich über den rustikalen, auf die Riede "Saurüssln" bei Poysdorf zurückgehenden Namen amüsieren, aber: Dieser ab 1959 produzierte Veltliner war einer der ersten Markenweine Österreichs und in den 1970er- sowie 1980er-Jahren die erfolgreichste Weinmarke des Landes. Ein perfektes Beispiel für – damals noch nicht so bezeichnetes – Herkunftsmarketing! Übrigens: Nach vorübergehender Stilllegung der Marke 2003 wird der "Saurüssel" seit 2010 von einigen Weingütern wieder produziert.
Noch weiter zurück in die Weinbaugeschichte des Weinviertels reicht der legendäre "Brünnerstrassler", keine explizite, rechtlich geschützte Marke wie der "Saurüssel", sondern eine alte, heute selten gebräuchliche Bezeichnung für einen bestimmten Weintyp aus dem Weinviertel: ein rescher, frischer, säurebetonter Weißwein, benannt nach der "Brünner Straße", die von Wien bis ins tschechische Brünn führte (die heutige B 7) und an der viele Weinbaugemeinden lagen. Die regionsbezogene Herkunftsbezeichnung gab Auskunft über den Charakter und Typ des Weines. Die Rebsorten – meist Grüner Veltliner oder Welschriesling – interessierten die Heurigenbesucher und Wirtshausgäste nur mäßig.
Modernes Herkunftsmarketing
Sowohl der "Poysdorfer Saurüssel" als auch der "Brünnerstrassler" sind zwei frühe österreichische Beispiele für die ursprünglich aus Burgund stammende Denkweise, wonach der Ursprung eines Weines an erster, dessen Rebsorte an zweiter Stelle stehe, und die Herkunft des Weines mit bestimmten Eigenschaften verknüpft sei. Genau das ist die Idee des modernen Herkunftsmarketings, wie es seit einigen Jahren auch in Österreich von Weinbauverbänden, privaten Winzervereinigungen, einzelnen Winzern und – allen voran – der ÖWM Österreich Weinmarketing GmbH propagiert wird. Grundgedanke: Für die Unverwechselbarkeit und das Profil eines Weines ist dessen Herkunft aus einer bestimmten Region, einem Ort (Dorf, Gemeinde) bzw. aus einer Ried (Parzelle, Einzellage) wichtiger als die Rebsorte.
Zufall oder nicht: Das Weinviertel war 2003 die erste Weinbauregion Österreichs, welche dieses Herkunftskonzept formell umsetzte und als DAC-Region etabliert wurde. Das Kürzel steht für "Districtus Austriae Controllatus" und bezeichnet besondere österreichische Qualitätsweine mit unverwechselbarer Gebietscharakteristik. Mit dem DAC wurde im Weinviertel österreichweit erstmalig die Herkunftsregion eines Weines über die Rebsorte gestellt – nach dem Vorbild der Appellationssysteme in Frankreich, Spanien und Italien. Dort sind viele bedeutende Weine nach der Herkunftsregion benannt, wie etwa Chablis, Rioja und Chianti. Erst an zweiter Stelle steht die jeweilige Rebsorte: Chardonnay, Tempranillo und Sangiovese.
"Signature Wine" Grüner Veltliner
Dass man sich im Weinviertel für den Grünen Veltliner als DAC-Wein entschied, war aus historischen Gründen naheliegend: Gemäß Aufzeichnungen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegt das Zentrum der reinsortigen Kultivierung von Grünem Veltliner in der Gegend um Retz. Dazu kommt: Von den 14.000 ha Rebfläche des Weinviertels entfallen etwa 50 % allein auf diese Rebsorte. Jene 7.000 ha machen auch rund die Hälfte der gesamtösterreichischen Veltliner-Anbaufläche aus! Man kann also bei der Kombination Grüner Veltliner und Weinviertel zurecht von einem "Signature Wine" der Region sprechen.
Der Vollständigkeit halber: 75 % der Weinviertler Rebflächen entfallen auf weiße, 25 % auf rote Sorten. Nach dem Grünen Veltliner mit 7.000 ha (50 % der Rebfläche) liegt Zweigelt mit 1.800 ha (13 %) an 2. Stelle, gefolgt von Welschriesling mit 1.000 ha (7 %), Burgundersorten wie Chardonnay und Weißburgunder (6 %) und Riesling (5 %). Mit seinen 14.000 ha Weingärten und rund 2.750 Weinbaubetrieben ist das Weinviertel zwar das größte Weinbaugebiet Österreichs, galt aber lange Zeit als "Underdog" und Herkunftsregion einfacher Trinkweine und Grundweine für Sekt. Jahrzehntelang im Norden und Osten vom "Eisernen Vorhang" umgeben und weitab von größeren Städten liegend, stand die Region mit ihrem rauen Charme im Schatten von prominenten und schicken Regionen wie der Wachau oder der Südsteiermark. Doch in den 21 Jahren seit Etablierung des DAC hat sich das Weinviertel zu einer Region großer Vielfalt und hoher Qualität entwickelt. Der gebietstypische Grüne Veltliner ist zu einer Marke geworden: kein geringer Erfolg, bedenkt man die Konkurrenz von seit langem etablierten Veltliner-Anbaugebieten wie der Wachau und dem Kamptal.
Das berühmte "Pfefferl"
Das Weinviertel liegt am westlichen Rand der pannonisch geprägten Klimazone, charakterisiert durch kontinentale Einflüsse mit warmen bis heißen, trockenen Sommern und kalten, schneearmen Wintern. Trotz relativ hoher Temperaturen im Sommer gilt die Region gemäß internationaler Kriterien als "Cool Climate"-Weinbauzone. Sonnige Herbsttage, kühle Winde aus dem Norden und deutliche Tag-Nacht-Temperaturunterschiede schaffen die Voraussetzungen für frische, aromaintensive Weine. Entsprechend der großen Ausdehnung des Weinviertels ist dessen Geologie sehr vielfältig und bietet Böden aus Granit, Kalk, Mergel, Sand und Ton, die den Weinen jeweils eigene Geschmacksnuancen verleihen. Rund die Hälfte der Weinbaufläche ist von Löss geprägt, einem kalkhaltigen, sandigen Sediment, das der Grüne Veltliner geradezu liebt. Der Lössboden begünstigt Weine mit kräftiger Würze, viel Frucht, Schmelz und Extrakt.
Über alle Bodenarten und Herkunftsorte hinweg zeigt der Weinviertler Grüne Veltliner typische würzige Geschmacksnoten von – je nach Reife des Weines – grünem, weißem oder schwarzem Pfeffer. Dafür ist der Aromastoff Rotundon verantwortlich, der in der Beerenhaut dieser Rebsorte in hoher Konzentration zu finden ist. Dazu kommen ein fruchtbetontes Bukett (gelbe und grüne Äpfel, Birnen, Quitten, Grapefruit, Zitrus) und eine frische, knackige Säure. Diese drei Merkmale – das berühmte „Pfefferl“, die helle Frucht, die lebendige Frische – kennzeichnen den Weinviertel DAC.
Weinviertel DAC-Weine
Den ausschließlich aus Grünem Veltliner produzierten Weinviertel DAC gibt es in drei Ausprägungen. Um das DAC-Label tragen zu dürfen, muss ein Veltliner genau definierte Anforderungen erfüllen, über deren Einhaltung eine Verkostungskommission wacht. Bei allen drei Kategorien ist die Angabe einer Riede zulässig.
Weinviertel DAC
Seit 2003 auf dem Markt, fruchtig, würzig, pfeffrig, keine Botrytisnote, ohne Holzton, mindestens 12 % Alkohol, trocken, maximal 6 g/l Restzucker, darf ab 1. Jänner nach der Ernte in den Verkauf kommen.
Weinviertel DAC Reserve
Seit 2010 auf dem Markt, fülliger, würziger, ab 15. März nach der Ernte im Verkauf.
Weinviertel DAC Große Reserve
Seit 2021 auf dem Markt, viel Schmelz, dichte Struktur, ab 1. November des auf das Erntejahr folgenden Jahres im Verkauf. Für Reserve und Große Reserve gilt: kräftig, würzig, zarter Botrytis- und Holzton zulässig, mindestens 13 % Alkohol, trocken, maximal 9 g/l Restzucker, dichte Struktur und kraftvoller Körper, lange lagerfähig. Eine Reifung im Holzfass ist erlaubt, doch nur zurückhaltend, denn die Gebietstypizität soll nicht überdeckt werden.
2010 kamen die ersten Weinviertel DAC Reserven auf den Markt. Inzwischen werden solche Reserven von mehr als 100 Betrieben produziert. Reserve und Große Reserve spiegeln – viel deutlicher als der klassische DAC – die Handschrift des Winzers wider. Manche bevorzugen den Ausbau im Edelstahltank, um den Wein so präzise und terroirgetreu wie möglich zu vinifizieren. Andere wieder legen den Veltliner ins große Holzfass, um ihm Zeit zum Reifen zu geben. So können bei aller Gebietstypizität weingutsindividuelle Unterschiede herausgearbeitet werden.
Eine Erfolgsgeschichte
Heute, nach 20 Jahren, gilt Weinviertel DAC als Erfolgsgeschichte. Die Einführung der Herkunftsbezeichnung war gerade für diese bis dahin häufig unterschätzte Region sehr wichtig. Sie hat bei vielen, vor allem jüngeren Winzern das Selbstbewusstsein gefestigt, deren Identifikation mit ihrer Region gestärkt, und war Ansporn, hohe Qualität zu produzieren. Nicht zuletzt hat DAC den Grünen Veltliner als wichtigste Sorte und Botschafter der Region klar bestätigt. Mehr als fünf Millionen Flaschen Weinviertel DAC werden mittlerweile jährlich verkauft. Beeindruckende Verkostungserfolge und steigende Absatzzahlen auch in wichtigen Exportländern bestätigen den eingeschlagenen Weg und sorgen für die positive Entwicklung der Weinwirtschaft. Grüner Veltliner aus dem Weinviertel wird aktuell besonders in Deutschland stark nachgefragt, vor allem die Weinviertel DAC Reserven.
Die Forcierung des Herkunftsmarketings begünstigte nicht nur einen Strukturwandel der Weinviertler Weinwirtschaft, sondern war auch maßgeblich am touristischen Aufschwung der ganzen Region beteiligt. So wie auch andere "entlegene" Weinbauregionen, etwa das südliche Burgenland, hat sich das Weinviertel zu einem dynamischen Weinbaugebiet mit einer spannenden und interessanten Szene sowie gut ausgebildeten Winzerinnen und Winzern entwickelt, die zeitgemäß und gleichzeitig regionsverbunden denken sowie Qualität in den Vordergrund rücken. Viele stellen auf biologischen Weinbau um, gehen eigene, neue Wege, produzieren neben klassischen und DAC-Weinen auch natürliche Still- und Schaumweine (Pet Nats) bis hin zu Orange Wines. Nach und nach entdecken auch Konsumenten, Gastronomen, Sommeliers und Händler außerhalb der Region die Vorzüge und Besonderheiten der Weinviertler Weine, die auch auf internationalen Märkten präsent und zunehmend erfolgreich sind: ein langer, aber erfolgreicher Weg vom "Brünnerstrassler" und "Poysdorfer Saurüssel" bis zum Weinviertel DAC.
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Weinviertler Grüne Veltliner bei Wagner
Fruchtige, würzige Nase, Anklänge von Pfeffer und Apfel, auch Zitrusnoten spürbar, reife Frucht am Gaumen, gutes, mit Würze unterlegtes Säurespiel, eleganter Abgang. Das 17 ha-Familienweingut nahe der historischen Weinstadt Retz gehört zu den besten im Weinviertel. Manfred und Angelika Hebenstreit konzentrieren sich vor allem auf den gebietstypischen Grünen Veltliner (50 % der Rebfläche). In ihren Weinen kommt das klassisch-würzige Weinviertler Terroir hervorragend zur Geltung.
Ein Wein von eisen- und kalkhaltigen Lössböden; intensives Bukett, reife Frucht, Birnen-Quitte, saftiger Apfel, Zitrusfrüchte, fein verwobene Würze, am Gaumen balanciert, mineralisch, eleganter Trinkfluss. Ingrid Groiss zählt zu den interessantesten Produzenten im Weinviertels. Die Winzerin mit akademischem Background (Wirtschafts- und Weinbaustudium) produziert auf ihrem kleinen, von den Eltern übernommenen Weingut seit 2010 auf behutsame, naturnahe Weise sehr individuelle Weine – sortentypisch, tiefgründig, elegant, charaktervoll, ungeschminkt und authentisch.
Helles Grüngelb, fruchtig, mineralisch, weißes Kernobst und Grapefruit, pfeffrig, saftig, würzig, feine Säurestruktur. Wolfgang Seher aus Platt gehört zu jenen Winzern, die zeigen, welches Qualitätspotenzial im Weinviertel steckt. Im Retzer Land bewirtschaftet er einen klassischen österreichischen Familienbetrieb mit 18 ha Rebfläche, 50 % davon Grüner Veltliner. Von kalkreichem Lehm, Löss und Sand geprägte Böden bieten optimale Voraussetzungen für mineralische, fruchtig-elegante Weine.
Enorme Frische, saftige Frucht und viel Würze machen diesen anspruchsvollen Veltliner zu einem puristischen Vertreter seiner Klasse. Mineralisch, vibrierend, engmaschig, vital und lang. Typisch Weinviertel, aber genauso typisch Zillinger. Der lange Zeit in Österreich unterschätzte Herbert Zillinger ist bekannt für kompromisslose, sehr persönliche Charakter-Weine: anspruchsvoll, anders, eigenständig, puristisch, mit viel Herkunftstypizität, gleichzeitig weltoffen und modern.
Fotos: © ÖWM / WSNA